SHIFTING  TIME  /  SPACE

Ausstellung

Donnerstag 30.10.2003 – Donnerstag 11.12.2003

SHIFTING  TIME  /  SPACE

Die Ausstellung "shifting time / space" präsentiert drei Arbeiten, die Momente der Geschichte hinterfragen. Die Videoinstallationen thematisieren den Umgang mit der Realität und deren Repräsentation.

Es handelt sich hier nicht um eine Neuinterpretation der Geschichte, sondern es geht darum, Fragmente einer vergangenen Realität an die Oberfläche zu bringen, sie in einem neuen Kontext zu hinterfragen und auf ihre Aktualität zu prüfen.

Dauer der Ausstellung: 30. Oktober - 11. Dez. 2003
Öffnungszeiten: Mi - Sa 15.00h - 19.00h

"Capitulation Project" (2003)
Frédéric Moser & Philippe Schwinger

Set und Videoprojektion
16 mm, schwarz/weiss, auf DVD, 21’ 34“, Englisch mit deutschen Untertiteln, Loop

Im Februar 1971 führte die New Yorker Performance Group zum ersten Mal „Commune“ auf. Eine Szene der Performance nahm Bezug auf das Massaker von My Lai (Vietnam, 1968). Ein Performer forderte das Publikum auf, sich am Spiel zu beteiligen. Das Publikum übernahm symbolisch die Rolle einer Gruppe vietnamesischer Dorfbewohner. Diese Gruppe war umringt von Performern, die ein Interview zwischen einem Reporter und einem Soldaten simulierten. Das Ganze geschah während des Vietnamkriegs. Die New Yorker Performance-Truppe benutzte die Medienaktualität – die Performance fand zeitgleich mit der Urteilsfindung über den Soldaten statt, welcher das Massaker in dem Dorf angeführt hatte – um eine Diskussion in der Gesellschaft auszulösen.

Die von den Performern gespielte Sequenz über My Lai war kurz (4-5 Repliken), aber sie konnte je nach Reaktion des Publikums bis zu drei Stunden dauern. Wenn die Zuschauer es ablehnten, auf die Bühne zu kommen, unterbrachen die Performer ihr Spiel, was eine neue Diskussion über die Frage der Partizipation auslöste. Die Truppe hat mit verschiedenen Varianten dieser Szene experimentiert.

Ausgehend von einigen Photographien der Performance und ausgehend von Notizen Richard Schechners, eines Theoretikers des Environmental Theaters, haben wir einen neuen Verlauf der My Lai-Sequenz entworfen. Wir haben uns in die Aussagen von Soldaten vertieft, die das Massaker verübt haben, in Berichte der Untersuchungskommission und in zeitgenössische Presseartikel. Daraufhin haben wir ein Szenario entworfen, das es uns erlaubt, die gesammelten historischen Dokumente in eine bühnengerechte Formulierung zu fassen.

Wir wollten ein Kriegsereignis thematisieren, ohne die spektakelhaften Mittel der Filmindustrie zu benutzen. Welche Möglichkeiten haben wir als einfache Staatsbürger, einen Akt des Terrors zu verarbeiten? Wir sind den Spuren der Performance Group gefolgt. Deren Versuch, im Rahmen einer Theateraufführung Raum für Selbstkritik zu schaffen, hat unsere dramatischen Intentionen geleitet. Dazu haben wir das Dekor von „Commune“ rekonstruiert: eine Welle, die zugleich Landschaft evoziert und als Agora dient sowie ein Gerüst um die Bühne herum, auf dem das Publikum sitzen kann.

1971 inspirierten sich die Performer bei Ritualen, sie tanzten und sangen. Wir haben nicht versucht, diese Authentizität des Spiels wiederzufinden. Zwar evozieren wir eine symbolische Ebene der Darstellung, haben es aber vorgezogen, mit den Schauspielern ein Spiel auf zwei Ebenen zu entwickeln. Jeder Performer übernimmt eine Funktion, als Reporter zum Beispiel, aber er kann jederzeit in seinem eigenen Namen intervenieren. Es gibt ein kontinuierliches Hin und Her zwischen dem Individuum und dem, was es darstellt. Diese Methode des Spiels war für uns Mittel, um eine Analogie zum Film herzustellen.

In Capitulation Project gibt es keine „Live-Performance“, da die Szene in etwa 30 Sequenzen in zwei nächtlichen Drehs gefilmt wurde mit einem „unechten“ Publikum, bestehend aus Statisten. Die Distanz, welche die filmische Sprache in Bezug auf die Performance schafft, lässt sich vergleichen mit der Distanz, die wir zu aktuellen politischen Ereignissen einnehmen.

Wir machen bewusst einige Schritte zurück in der Zeit. Wir evozieren ein Massaker mittels einer zum Ereignis zeitgleichen künstlerischen Form, um zu zeigen, dass das Begreifen eines Kriegsereignisses an seine mediale Vermittlung gekoppelt ist.

Frédéric Moser und Philippe Schwinger, September 2003



„Lingchi – Echos of a Historical Photograph“ (2002)
Chen Chieh-Jen

Super 16mm Film, schwarz/weiss, auf DVD, 24‘ 52‘‘

Chen Chieh-Jens Werk „Lingchi – Echos of a Historical Photograph“ hat seinen Ursprung in einer alten Photographie einer Todesstrafe genannt „Lingchi“, entstanden um die Jahrhundertwende des 19. / 20. Jahrhunderts.

Chieh-Jen arbeitet oft mit historischen Fotografien die er digital verändert. Seine Werke interpretieren die Geschichte Taiwans neu, und er deckt deren vergessene und versteckte Ursprünge auf.

Bei der aus China stammenden, brutalen Kapitalstrafe „Lingchi“ wurden dem Verurteilten vor einem grossen Publikum bei lebendigem Leib Körperteile abgeschnitten. Dieses Vorgehen wurde angewendet, wenn jemand gegen den Kaiser rebelliert hatte, Kinder ihre Eltern oder eine Frau ihren Ehemann tötete und bei weiteren grausamen Verbrechen. Es war jedoch nicht genau geregelt, wann und wie „Lingchi“ eingesetzt werden sollte.

Der Sinn von Chens Arbeit liegt nicht unbedingt nur in dem dargestellten Ereignis, das er uns präsentiert, sondern vielmehr in der Bearbeitung, die er am Bild vornimmt, wie auch in dem Zustand der Körper, die dargestellt werden. Es sollte nicht vergessen werden, dass Chen einer der Vorreiter der „Performance Art“ in Taiwan und einer der wichtigsten Künstler des „Body Art“ in Asien ist.

Über die Fotografie sagt Chen: „For me, photography is rather more like a technological media for the use of capturing souls, a way of subdividing the flow of time and body into fragments that are instantly frozen over the print, a way of death through light.“

Nach Chen Chieh-Jens Meinung wurden Fotos schon immer fälschlicherweise für eine Abbildung der Wahrheit und der Realität gehalten und von den Mächtigen als solche missbraucht. Die Fotografie wurde oft zur Manipulation und Verdrehung der Geschichte und Erinnerung verwendet, eine Art magische Seelenfänger-Technik im Dienste der Macht.

In seiner Arbeit versucht Chen Chieh-Jen Wege zu definieren, um das Andere - die vergessene Realität, die durch die heutige Gesellschaft und Machtstrukturen verdrängt wird - an die Oberfläche zu holen.

Wir möchten darauf aufmerksam machen, dass die Arbeit von Chen Chieh-Jen wegen der realistischen Darstellung der Todesstrafe „Lingchi“ für Kinder und empfindsame Personen nicht geeignet ist.



„The screensaver / the hardisk / the disk“ (2003)
Stefan Nikolaev

Ob sie linear oder zyklisch ist, die Zeit, die vergeht und - noch wichtiger – die, die vergangen ist, beeinflusst wörtlich oder metaphorisch das Werk von Stefan Nikolaev. Man kann seine Arbeit nicht verstehen, ohne den Blick auf die fast schon phantomartige Zeit der siebziger und achtziger Jahre in Osteuropa zu werfen.

Die Prüfung der Zeit und der Distanz und die Erfahrung der Entfernung: aus diesen Bezugspunkten entwickelt er sein Werk und verleiht den Arbeiten eine innere Kohärenz und Einzigartigkeit.

Es handelt sich natürlich um Nostalgie, aber nicht die übliche. Es ist eine hybride Form, an den Geschmack des Ostens lehnend. Sie ist das Produkt des Zusammentreffens des Kalten Krieges und des amerikanischen Way of Life.

Stefan Nikolaevs Werke, wenn sie sich um die Erinnerung drehen, schreiben sich in der prosaischen Zeit des östlichen Alltags nieder. Er ist ein Zuschauer in Bewegung. Er stellt uns eine „Zwischenzeit“ vor, eine Zeit des Wartens. Zwischen seiner eigenen Muttersprache und seiner adoptierten Sprache entwickelt der Künstler seine eigene Art zu kommunizieren. Verwendete Ausdrücke sind Mobile Nokia, Hometrainer, Pall Mall Zigaretten, Neonschilder und Karaoke.
Die Einfachheit dieses Kodes sollte aber nicht über die Komplexität seiner Aussage hinweg täuschen.

Die Installation „The screensaver / the hardisk / the disk“ beinhaltet die gleichen Ideen.
Ein kleiner Mann betritt einen Raum und setzt mit Hilfe einer Fernbedienung eine Reihe von bekannten Liedern aus den Siebzigern und Achtzigern in Gang (Bee Gees, The Mammas and the Papas, Sylvie Vartan, Imagination...). Der Gravitation trotzend läuft er im Kreis die Wände rauf und runter und die Decke entlang, seinen Sicht- und Standpunkt ständig wechselnd und neue Realitäten kreierend. Gleichzeitig zappt er nach Lust und Laune mit der Fernbedienung.

Wir erkennen die Musik, die gespielt wird, aber eine Irritation kommt auf – die Wörter sind uns fremd. Es sind Lieder, die von bulgarischen Sängern zu der westlicher Musik gesungen wurden.

Es entsteht eine Verschiebung, uns an sich bekannte Songs werden fremd und das erwartete Nostalgie-Gefühl will sich nicht richtig einstellen. Wir befinden uns plötzlich in einer uns fremden Zeit.

„Als ich Ende der achtziger Jahre in Paris ankam, hörte ich dauernd Lieder am Radio die ich bisher immer nur auf Bulgarisch gehört hatte. Heute wage ich es, mich von diesem Erlebnis zu lösen, indem ich dieses Schema im umgekehrten Sinne wieder herstelle.“